Die letzten drei Teller und ein Fazit meiner kleinen Hamburg-Berichterstattung stehen ja noch aus. Heute also zum vierten und unwiderruflich letzten Teil der Schatzstadt*-Reihe (was bisher geschah: Teil 1, Teil 2 und Teil 3).
Dass Herr Paulsen jemand ist, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat, erkennt man auch daran, dass er weiß, wo in der klassischen Menü-Folge das Sorbet hingehört: Nämlich exakt an diese Stelle.
Sorbet vom 2005er most of apples barrique cider “Apfel & Quitte”
Ich bin ein großer Freund von Sorbets innerhalb der Menü-Folge, vor dem Fleischgang kann mein Gaumen meist eine kleine Erfrischung bzw. einen kurzen „Reset“ gut vertragen. Der Sommelier – also ich – hatte bei diesem Gang übrigens Pause. Klar, denn natürlich gab es Cider zu Sorbet. Eine folgerichtige und sehr gute Wahl. Zur – wohlgemerkt für ein Zwischengang-Sorbet – recht süß abgestimmten Gaumenerfrischung gab einen flüssigen Partner, der auf das feinste „etwas dazudaddierte“. Das eher süße Sorbet, der Cider dagegen von starken Reife-Aromen und oxidativen Tönen geprägt und von einem Hauch von Sherry umwebt. Allein wäre er mit vermutlich eine Spur zu eigen, zu störrisch gewesen. In Kombination mit dem Sorbet gewannen beide Seiten: der Cider an Zugänglichkeit, das Sorbet ganz entschieden an Tiefe.
Geschmorte Schweinebacke mit hausgemachter Kümmel-Schweinsbratwurst, Sellerie-Bohnenpüree und ofengebackener Bete
Yippee Ki Yay! Was sonst soll man zu Schweinebacken sagen, es ist mir bis heute eines der liebsten Schmorgerichte überhaupt, der Spitzen-Platz auf der Lieblingsspeisen-Liste, Unterabteilung „Schmor und Schmorartige“ wird allenfalls von den Bäckchen von Kollege Kalb streitig gemacht . Aber auch alle anderen Dinge auf dem Teller war von exiquisiter Qualität: die Würste ungemein fein (auch wenn der Meister selbst leicht haderte), das Püree schmackhaft und tief ohne breiig zu sein. Am beeindruckendsten für mich aber: die Konzentration der Aromen der auf dem Salzbett ofengegarten roten Beete. Das Resultat der Methohde: Große Intensität und Klarheit.
Die an dieser Stelle als Abschluß der trockenen Weißweine und Überleitung geplante Künsterler-Auslese (siehe Bild ganz oben), die leider korkte, habe ich ja schon in Teil 2 ausgiebig beweint. Für danach hatte ich Rotweine vorgesehen – bei dem zu vermutenden Röstaromenfestival eine naheliegende Wahl. Dem Küchen-Konzept des Abends folgend hatte ich mich auch hier auf deutsche Weine beschränkt – und genau, wie zuvor schon bei den Weißweinen zielstrebig zu Flaschen am oberen Ende der Qualitätsskala gegriffen. Namentlich waren dies: ein 2001er Spätburgunder „SD“ vom spätberufenen Rotweinwinzer Jacob Duijn (davor war der Mann Sommelier und Weinhändler) und ein 2004er Frühburgunder „R“ aus dem Centgrafenberg von Rudolf Fürst. Früh- vs. Spätburgunder also, Baden gegen Franken.
Und das auf verdammt hohem Niveau: Der Duijn mit seinem eher burgundischen Stil, extraktreich, taninbetont, der Fürst mit der frühburgundertypischer Opulenz. Die verschwenderische Brombeerfrucht der jungen Jahre hat inzwischen einem Waldbeeren-Bouquet Platz gemacht, die mineralische Tiefe ist dafür jetzt deutlich präsenter. Der 2004er ist kein ganz so großer Wein wie der 1999er, aber hey, der zählt immer noch zu den 2 bis 3 besten Rotweinen aus Deutschland, die ich bisher in meinem Leben getrunken habe. Der Duijn ist anfangs noch recht verschlossen. Ein eher dünner Walderdbeerduft entströmt dem Glas überdeckt von kräftigen Noten von schwarzwälder Räucherspeck. Etwas weniger Toasting fürs Faß hätte es auch getan, ist mein spontaner Gedanke – und ich tue Wein und -Macher damit unrecht, wie sich wenig später herausstellen wird. Denn die mit übertriebenem, nicht gekonnten Holzeinsatz einhergehenden und gaumentapezierenden Tanine finden sich im Wein verblüffenderweise nicht. Und als der Wein sich dann etwas später mit ein wenig Luft öffnet, vermählt sich der Räucherton vom Barrique-Toasting mit einer immer noch präsenten Kirsch-Frucht und den Noten von mittlerweile 10 Jahre Flaschenreife zu einem hochfeinen und sehr Komplexen Gesamtkunstwerk.
Mit etwas Luft öffnen sich beide Weine und passen dann prinzipiell auch zu dem, was auf dem Teller liegt. Letztlich sind sie – wie auch schon die großen Riesling Gewächse – aber doch ein Spur zu komplex oder – in den Zusammenhang eigentlich präziser – kompliziert. Etwas weniger wäre auch hier für das Menü mehr gewesen.
6.)
Buttermilchcreme mit Holundersauce und Schmalznüssen
Die Buttermilchcreme zum Abschluss konnte noch einmal richtig begeistern. Keine pappige Süße sonder eine fast frischkäsehafte Frische bestimmte den Charakter der Creme, die Holundersauce dazu die perfekte Ergänzung. Als <dollase-mode> textureller Kontrast </dollase-mode> dazu die Schmalznuss aus den Händen der Herzallerliebsten. Ein feines Dessert und ein würdiger Abschluß eines nicht nur kulinarisch großen Abends.
Was man auch zu den beiden das Dessert begleitenden Weinen sagen kann: einer 1998er Riesling Auslese aus der Braueberger Juffer Sonnenuhr von Fritz Haag und einem 2001er Riesling Eiswein aus der Mußbacher Eselhaut von Müller-Catoir. Letzterer noch aus den Zeiten, in denen Kellermeister-Legende Hans-Günter Schwarz die Geschicke des Betriebes leitete. Zum Dessert hat mir die mineralische Tiefe der gereiften Auslese (gereift zwar, aber weit davon entfernt müde zu sein) besser gefallen als die verschwenderische Opulenz und Süße der Pfälzer Wuchtbrumme. Andererseits muss man sagen, dass ein Eiswein oder eine Trockenbeerenauslese aus dem Hause Müler-Catoir ein Erlebnis ist, dass mit wenigen anderen verglichen werden kann. Barocke Opulenz, verschwenderische Aromenfülle, betörende Süße und fast verstörende Länge bilden einen Sinneseindruck, den man am ehesten noch mit dem Tutti eines großen symphonischen Orchesters vergleichen kann. Einfach nur grandios.
Ein kurzes Fazit
Als bewussten Kontrapunkt zum edelsüßen Finale gab es ganz zum Schluß – sozusagen als Reparatur-Sekt – noch etwas knochentrockenes aus der Abteilung „brut nature“. Da, wo sonst der Digestiv-Champagner steht, wollte ich einen deutschen Sekt haben – und zwar auf dem qualitativen Niveau der Weine zuvor. Die Auswahl des Sekthauses Raumland war die nahezu zwingende Konsequenz dieses Wunsches. Ich habe mich dann aber gegen den allgemein als Spitzencuvee betrachteten Triumvirat (eine klassischen Champagner-Cuvee) entschieden. Meine Wahl war der in seiner Art noch radikalere und kompromisslosere „Blanc et Noir Brut Nature“. Jahrgang 2005, degorgiert erst Ende 2010 – man kann an dieser Stelle die Tatsache, dass Volker Raumland das Degorgier-Datum auf den Flaschen verzeichnet, nicht hoch genug loben – eine Cuvee aus hochmineralischem Chardonnay und Frucht und Struktur lieferndem Pinot Noir. Gerade mal 2 Gr. Restzucker paaren sich mit 6,5 gr. Säure. Im Vergleich zum den dreistelligen Restzuckerwerten des Eisweins zuvor wirkt dieser Sekt wie ein Schock. Schaumwein-Weltklasse aus Deutschland, die immerhin rund das Doppelte eines Aldi-Champagners kostet – aber nur rund die Hälfte qualitativ vergleichbarer Champagner. Ein würdiger Abschluß einer stattlichen Reihe großer Weine.
Dazu vielleicht noch ein allerletzter Gedanke. Dass dies in kulinarischer Hinsicht ein großer Abend werden würde, hatte ich erwartet. Und ich habe versucht, bei der Auswahl der Weine darauf zu reagieren und zusätzlich immer noch einen kleinen „Lerneffekt“ einzubauen (09 vs. 10, Spätb. vs. Früh, etc…). Ich habe also, großes bis sehr großes aus Paulsens Küche antizipierend, große bis sehr große Weine dazu ausgesucht. In der Rückschau muss man sagen: vielleicht an einigen Stellen etwas zu groß. Es ist für mich alles andere als ein Zufall, dass das in meinen Augen harmonischste Food/Wine-Paar des Abends auf der Wein-Seite ausgerechnet vom einfachsten Wein des Abends (einfach in diesem Kontext wohlgemerkt. Wir reden immer noch von einem der besten Rosés Deutschlands) gebildet wurde. Weil sich dieser Wein dem Essen unterordnete, es ergänzte, ohne die Aufmerksamkeit zu sehr abzulenken. Sollte ich aufgefordert werden, für das gleiche Menü noch einmal passende Weine herauszusuchen, würde ich auch bei den anderen Gängen Einfacheres wählen, Weine, die nicht permanent in Konkurrenz zu dem Geschehen auf den Tellern treten. Zumal die Weine fast alle von einer Klasse waren, dass sie es verdient hätten über längere Zeit beobachtet zu werden. Was bei der Fülle des Angebots auch kaum geschan. Zum Nachprobieren am Ende sind wir dann aber – vornehmlich aus Kapazitätsgründen – kaum noch gekommen.
Um aber mit meiner Mäkelei an mir selbst vom Abend keinen falschen Eindruck zu vermitteln: es war natürlich trotzdem ein grandioser, toller Abend. Einer, an den ich noch lange in großer Dankbarkeit zurückdenken werde. Nicht nur, aber auch wegen der Weine. Nicht nur, aber auch wegen des Essens. Vor allem aber: wegen des Privilegs, ihn mit großartigen Menschen verbracht haben zu dürfen.
Danke!
* Allen, die mit dem Begriff “Schatzstadt” nichts anfangen können, sei der hinter diesem Link liegende Song auf das Eindringlichste ans Herz gelegt – eine der schönsten Hymnen die der freien Hansestadt Hamburg wohl jemals gesungen wurden.