Glasklare Gefühle

Same procedure as every year, James!

Blitzsaubere Trauben, 93° Oechsle – Moselriesling unmittelbar vor der Lese…

Die Blätter hängen zu großen Teilen noch – die meisten Trauben tun es nicht mehr. Es ist Mitte Oktober – und in weiten Teilen Deutschlands ist die Weinlese vorbei. Die Winzer sind mit der Qualität zufrieden. Und wer vor Spätfrost im Mai oder Hagel im August verschont blieb, dürfte das auch mit den Mengen sein. Gute Nachrichten, also soweit.

Und die verbreiten sich bekanntermaßen in rasender Geschwindigkeit – wie jedes Jahr, übrigens. Noch sind nicht wirklich alle Stöcke gelesen (an der Mosel zum Beispiel ist die Lese noch nicht abgeschlossen), aber schon verkündet die erste Pressemitteilung stolz die frohe Botschaft: Ein Spitzenjahrgang sei’s geworden. Weitere Bulletins werden folgen, und allesamt werden sie voll des Lobes sein. Genau wie im Jahr zuvor. Und dem davor. Und dem davor. Und so weiter und so weiter…

Denn aus Angst davor, den Verbraucher – vermeintlich scheu wie Bambi und doof wie Toastbrot – zu verunsichern, wird immer wieder auf’s Neue die Nachricht vom Superweinjahr in die Welt getragen. Und wenn es denn dann ausnahmsweise mal nicht rundweg Spitze ist, dann sind’s immer noch hervorragende Qualitäten in einem nicht ganz einfachen Jahr. Oder einem mit Herausforderungen (die selbstverständlich immer gemeistert werden). Oder was der Euphemismen-Thesaurus gerade so hergibt. Für ein differenzierenderes Fazit reicht’s in aller Regel nicht. Klar, ein solches zu verstehen, da wäre er ja auch deutlich zu dämlich, der Verbraucher – denken jedenfalls jene, die uns den ewig gleich Vokabeln Jahr für Jahr die gleiche Botschaft überbringen.

Immerhin, sie werden brav gedruckt, die Verlautbarungen über die anscheinende Unfehlbarkeit der deutschen Winzerschaft – aber mal ehrlich: gibt es da draußen tatsächlich noch irgendjemand, der dieses Zeugs noch ernst nimmt?

 


  • Jan Buhrmann ...
    ...ausgebildeter Restaurant- fachmann und Wein-Enthusiast! Über viele Stationen in der deutschen Spitzen-Gastronomie und ständige Fort- und Weiterbildung gelangte er schließlich in die Wiesbadener "Ente", wo er knapp drei Jahre Herr über rund 2.000 Weine war. Den Glasklaren Gefühlen leiht Jan Buhrmann seine Stimme und wird dabei von Gastautoren unterstützt. Sie bloggen natürlich über Wein, Essen, kulinarische Tipps sowie Tricks und geben Lese- und Reiseempfehlungen - immer auf der Suche nach neuen, aufregenden Erfahrungen und Glasklaren Gefühlen.