Glasklare Gefühle

Rückschau in Bernstein…

Rivesaltes Ambré

– Tief bernsteinfarben leuchtet es mir aus dem Glas entgegen, als wolle der Wein darin durch Farbe und Leuchten schon vorab darauf vorbereiten, was beim ersten Riechen und Schmecken auf mich wartet. Und genau wie für den Namen Pate stehende Bernstein umschließt und bewahrt auch die Flüssigkeit im Glas in langen Jahren gereiftes. Nicht ganz so lange, wie beim Schmuckstein von der Ostsee zwar, aber doch immerhin recht ansehnliche zwanzig Jahre hat es gebraucht, bis dieser Wein zu dem wurde, was er jetzt ist…Ich senke meine Nase vorsichtig und mit der gebotenen Achtung zum Glas und… tauche ein in Meer von Aromen. Ich rieche und schmecke getrocknete Feige und Walnuss – eine ganze Menge frischer, grüner Walnuss. Dazu gesellen sich ein paar wenige zusätzlich kandierte Exemplare und geröstete Mandeln, umhüllt von einem zarten Schleier von Orangenschale und Lebkuchengewürz. Dicht und voll und sehr lang ist das alles und erst ganz am Ende, mit der Ahnung von Zitrusfrucht legt sich ein klitzekleiner Ton Bitterkeit auf den Gaumen. Doch selbst der ist nicht unangnehm, sondern gibt dem Wein die notwendige Tiefe und nimmt ihm gleichzeitig ein wenig von der Aufdringlichkeit seiner Süße.

Was ich da im Glas habe, ist ein Wein von Dom Brial, der ältesten Weingenossenschaft im Roussillon. Wobei das Wort Wein eigentlich falsche Erwartungen weckt, denn mit Wein, wie man ihn normalerweise kennt, hat das alles hier wenig zu tun. Rivesaltes Ambré ist ein Mediations-Elixier. Dieser hier genau wie die 5 anderen, die ich im Verlauf des Nachmittags probiere. Neben der Unmenge an Aromen, die im Laufe der Jahre im Kontakt mit der Luft herangereift sind – im Gegensatz zur Mehrzahl der Weine reift Rivesaltes oxidativ, also unter deutlich spürbarem Einfluss von Luftsauerstoff – ist der Restzucker und die damit verbundene Süße der zweite entscheidende Faktor des Geschmackserlebnis. Das liegt an der sogenannten Mutage (zu deutsch: Aufspritung), die die Gärung des Mostes unterbricht und so für dreistellige Restzuckerwerte sorgt – der Erbegnis ein sogenannter Vin Doux Naturel.

Die Methode, mit der heute auch die ungleich bekannteren Verwandten Sherry und Portwein hergestellt werden – hier, in der Heimat des Rivesaltes im Süden Frankreichs hat man sie erfunden. Im Jahre 1285 (sic!) schon, als das heutige Roussillon noch nicht zu Frankreich, sondern zum Königreich von Mallorca gehörte (und dieses wiederum einem anderen, deutlich würdigeren König als dem langhaarigen Schlagerbarden folgte). In einem Kloster der Tempelritter in der Nähe der Hauptstadt Perpignan entdeckte Arnaldus de Villanova bei Versuchen den Effekt, dass die Gärung eines Mostes stoppt, wenn man ihn reinen Weingeist (also mind. 96%igen Alkohol) hinzufügt. Die Folge: der schon erwähnte Restzucker in Kombination mit einem im Verlgeich zu deutschen Süßweinen recht hohem Alkoholgehalt (in der Regel zwischen 15 und 16% vol.).

Der älteste Rivesaltes Ambré, den ich an diesem Nachmittag probiert habe, war von der hier abgebildete 1969er von den Vignerons Catalans en Roussillon:

Leider brechen detailliertere Aufzeichnungen an dieser Stelle ab (ich hatte vorher noch 7 Muscat de Rivesaltes mit ählich hohem Alkoholgehalt). Aus der Erinnerung sei aber dennoch wenigstens soviel gesagt: „Hach!“ Den und den 1976er aus gleichem Haus hätte ich gerne zusammen mit Anke Gröner getrunken – und im Anschluss ihre Eindrücke dazu bei ihr Blog gelesen.

Die den Rivesaltes Ambré prägende Rebsorte ist meist die Grenache Blanc oder Gris. Weiter zugelassene Rebsorten sind Macabeo, Malvoisie sowie eingeschränkt (max. ≤25%) die beiden Varianten des Muscat. In Anbetracht des Alters und auch der Klasse dieser Weine sind sie ein verhältnismässig günstiges Vergnügen. Jedenfalls im Vergleich zu Süßweinen ähnlicher Qualität aus anderen Gebieten. Die traditionell oxidativ ausgebauten Exemplare haben zudem den Vorteil, im Kühlschrank auch geöffnet über Wochen haltbar zu sein.

Übrigens: Wer mit dem traditionellen, oxidativen, von einer gewissen Schwere geprägten Stil eher wenig anfangen kann, für den hält die Region einen anderen Vin Doux Naturel bereit: den Muscat de Rivesaltes. Die zugelassenen Rebsorten sind hier die von deutlich mehr primärfrucht geprägten Rebsorten Muscat à petits grains und Muscat d’Alexandrie. Die Weine werden reduktiv ausgebaut, verfügen über ein gewisses Maß an Säure, werden etwas kälter getrunken und sind so – trotz ebenfalls barocker Süße – deutlich frischer am Gaumen.

Denjenigen, die mehr über Wein und Gebiet wissen möchten, empfehle ich die sehr umfangreiche deutschsprachige Seite der Vins du Roussillon, auf der sich auch viel Material zu den trockenen und den süßen roten Weinen des Roussillon findet. Letztere, vor allem Banyuls und Maury werden in diesem Blog ganz sicher noch einmal Thema werden…

 

4 Kommentare

  1. ChezMatze sagt:

    Ich habe ja unheimlich viel Sympathie für solche alten und lokalen Traditionen. Deshalb kaufe ich auch immer Rivesaltes oder Maury, wenn ich mal vor Ort bin. Und dann kämpfe ich mit mir. Irgendwie ist das immer so, als wenn ein Nichtraucher (= ich) mal an einer Zigarre nuckelt. Ich glaube, im Allgemeinen bin ich noch nicht bereit dafür. Im Speziellen aber schon. Der Banyuls „Oublée“ von der Domaine de la Rectorie hat mich nämlich wirklich umgehauen. Und seit ich weiß, dass es in meinem Lieblings-Weingeschäft einen Rivesaltes von 1959 für 25 € gibt (kleine Flasche), werde ich da auch dranbleiben. Wo bekommt man schon ein 52 Jahre altes Getränk zu einem solchen Preis? Bei untrendy Rivesaltes geht das offenbar. Hast Du eigentlich bei Deinem Event auch nicht-genossenschaftliche Weine probieren können?

    • torsten sagt:

      Ich glaube, ich hatte das Dir schon mal erzählt: mein Erweckungserlebnis mit Banyuls hatte ich, als mir vor über 15 Jahren Jahren einmal die nahezu gesamte Palette von Mas Blanc (inkl. einiger wirklich sehr alter Exemplare) von Dr. André Parcé persönlich vorgestellt bekam. Das war ein Erlebnis, das ich wohl nie vergessen werde. Diese Energie und das Leuchten in seinem Augen wenn er von seinen Weinen, seinen Reben sprach – ich habe seitdem einige durchaus charismatische Winzer kennengelernt – aber soviel Strahlen, soviel Hingabe und Liebe zum eigenen Tun habe ich bisher nur noch einmal getroffen: bei Pierre Meslier vom Sauternes-Chateau Raymond Lafon.

      Zur letzten Frage: Es waren ein paar nichtgenossenschaftliche Güter dabei, die bekannteren fehlten allerdings vollständig. Ich hatte gehofft, wenigstens die Mas de la Deveze oder gar die Domaine Gardiez probieren zu können – aber leider Fehlanzeige. Positiv aufgefallen ist mir aber Mas Karolina – der beste Muscat d’Rivesaltes im Raum war von dort und auch die trockenen Roten waren von bemerkenswerter Eigenständigkeit. Weit entfernt von Überkonzentration und marmeladiger Süße, mit ausgeprägt frischer Säure. Schöne, wenn auch nicht unbedingt ganz große Weine. Und der Charme der Macherin Caroline Bonville tut zur wohlwollenden Rezeption ein übriges hinzu.

  2. ChezMatze sagt:

    Ja stimmt, das hattest Du mir erzählt. Ist doch immer wieder toll, wie solche Schlüsselerlebnisse die Tür zu einer ganz neuen Welt aufstoßen können. Mas Karolina in Rot und Weiß hatten wir letztes Jahr beim Zelten probiert. Mir hat vor allem der Weiße gefallen, aber der Rote war auch schon etwas älter, sprich noch aus der Periode, als Mächtigkeit Trumpf war. Ich glaube, Bettane & Desseauve sind auch immer wieder vom Charme der Gastgeberin beeindruckt – jedenfalls ist Mas Karolina da regelmäßig sehr positiv besprochen…

  3. […] im Holzfass ist aus dem Wein dann – genau, wie beim hier vor geraumer Zeit beschriebenen Muscat de Rivesaltes – ein Elixir geworden. Etwas, mit dem man sich in ganz, ganz kleinen Schlucken lange, lange Zeit […]


  • Jan Buhrmann ...
    ...ausgebildeter Restaurant- fachmann und Wein-Enthusiast! Über viele Stationen in der deutschen Spitzen-Gastronomie und ständige Fort- und Weiterbildung gelangte er schließlich in die Wiesbadener "Ente", wo er knapp drei Jahre Herr über rund 2.000 Weine war. Den Glasklaren Gefühlen leiht Jan Buhrmann seine Stimme und wird dabei von Gastautoren unterstützt. Sie bloggen natürlich über Wein, Essen, kulinarische Tipps sowie Tricks und geben Lese- und Reiseempfehlungen - immer auf der Suche nach neuen, aufregenden Erfahrungen und Glasklaren Gefühlen.