Glasklare Gefühle

Drei Monde und dreissig Jahre (a.k.a. 1982er Niersteiner Klostergarten)

“Hallo, mein Name ist Michaela und ich habe beim Ausräumen des Kellers meiner Tante ein paar Flaschen Wein entdeckt. Kann mir jemand sagen, was die ungefähr wert sind?”

Regelmässige Leser von Wein-Foren im Netz kennen das. Von Zeit zu Zeit tauchen dort immer wieder Menschen auf, die, meist im Rahmen eines Umzugs oder einer Erbschaft, auf längst vergessene Flaschen in Omis/Vatis/Tante Trudes Keller gestoßen sind und sich nun in Besitz ungeahnter Reichtümer wähnen. Klar, denn schließlich hat jeder schon einmal in der Zeitung von den teils astronomischen Summen gelesen, die ältere französische Weine zum Teil auf Auktionen erzielen. Und gut, Opi hatte vielleicht keinen 1945 Chateau Petrus im Keller liegen, aber ein bißchen was wird das 67er Erlauer Stierblut und der 75er Kröver Nacktarsch ja wohl auch wert sein.

Nein. Ist er nicht. Ganz ehrlich. Die für ältere Weine erzielbaren Preise bewegen sich bei eBay in aller Regel im einstelligen Bereich, jedenfalls dann, wenn es sich um unbekannte Erzeuger und Gebiete und nicht weiter bekannte Lagen handelt. Und auch ein für “runde” Geburtstage passender Jahrgang (also zur Zeit beispielsweise ein 1982er oder 1972er) hebt denErlös allenfalls in den niedrigen zweistelligen Bereich.

Der Ratschlag, den die Hilfesuchenden von wohlmeinenden Weinfreunden dann erhalten, ist stets der gleiche: entweder bei eBay einstellen und vom Erlös eine orgiastische Einkaufstour in der Süßwaren-Abteilung ihres nächstgelegenen Kiosk (“Zwei weiße Mäuse, ein Cola-Flasche, eine Lakrittzschnecke und fünf Schaumerdbeeren!”) finanzieren oder aber – weit besser! – Korkenzieher nehmen, die Weine aufziehen und selbst probieren. In aller Regel wird man dann allerdings mehr oder minder schmerzvoll nachvollziehen können, warum niemand bereit ist, für die vermeintlichen Schätze Geld auszugeben – sie sind nämlich meist schlicht ungenießbar.

Viel, viel seltener zwar – aber ab und an eben doch – erlebt man aber echte Überraschungen. Weine, die nicht nur “irgendwie noch trinkbar” sind, sondern den Lauf der Zeit fast unbeschadet zu überstanden haben scheinen. Wie der Wein oben auf dem Bild. Offen gestanden hatte ich mir davon nicht mehr allzu viel versprochen. Annähernd rund 30 Jahre alt, aus Rheinhessen, einem Gebiet, dessen Weine, speziell aus dem fraglichen Zeitraum, nicht unbedingt über den allerbesten Leumund verfügen und dazu von einem heute nicht mehr existierenden Erzeuger. Noch nicht einmal die Angabe einer Rebsorte findet sich auf der Flasche, dafür der zusätzlich zur Lage zu lesende Name “Drei Monde”. Alles in allem machte das nicht gerade Hoffnung auf ein großes Weinerlebnis.

Doch so kann man sich täuschen! Denn nach dem Öffnen funkelt es nicht nur höchst attraktiv rotgolden Glas, sondern eine blitzsaubere, von allen Kork- und Kellermufftönen völlig unbeschadete Nase strömt einem entgegen. Von der ursprünglichen Frucht ist zwar nichts mehr zu spüren – oder blinzelt da ganz, ganz hinten doch noch ein wenig Aprikose? – dafür hat aber ein sehr vielschichtiges und recht attraktives von Rosinen- und Karamell geprägtes Bouquet das Regiment übernommen. Und auch der erste, noch vorsichtige und fast ungläubige Schluck bringt einen echte Überraschung. Der Wein ist auch rund 30 Jahre nach seiner Lese blitzsauber, kaum Firne, zu der Süße der klassisch fruchsüßen Spätlese gesellt sich die schon erwähnte rosinig-karamellige Frucht. Ergänzt wird die auch am Gaumen sehr komplexe und vielschichtige Aromatik von Tabaknoten, die dem Wein sowohl eine gewisse Tiefe als auch eine recht überraschende Länge verleihen.

Um nicht falsch verstanden zu werden – das hier ist nicht dass in Wein-Blogs oft zu lesende “Große Kino” oder der “tolle/geniale/whatever Stoff”. Das hier ist ein sehr gut gemachter Wein, von einem Winzer, der sein Handwerk verstand und – in diesem Zusammenhang alles andere als unwichtig – verschlossen mit einem Korken, der frei von TCA und tatsächlich dauerhaft dicht war und somit auch 30 Jahre später noch große Freude bereitet. Letzteres ist eher selten. Die Überraschung war deshalb um so angenehmer.

 

 

1 Kommentar

  1. [...] zehn, zwanzig oder sogar dreissig Jahre zuvor getrunken worden wäre. Wie ich an dieser Stelle schon einmal schrieb: der Mythos des alten Weines ist allzu oft [...]


  • Torsten Goffin ...
    ... behauptet von sich selbst, er habe schon Food- und Wein-Blogs gelesen, als die noch vor 8 Lesern in kleinen finnischen Clubs gekocht haben" ... Seit 2009 schreibt er in seinem Blog "Allem Anfang..." über „Essen, Trinken und andere Formen von Kultur“. Auch hier bei uns beschäftigt er sich mit Geheimrezepten und Köstlichkeiten aller Art, schreibt über kulinarische Tipps und Tricks und gibt Lese- und Reiseempfehlungen - immer auf der Suche nach neuen, aufregenden Erfahrungen und Glasklaren Gefühlen.